Violetta Vollrath

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Armchair Philosophy

von Jo Gnadenlös



Gedanken und Thesen von Jo Gnadenlös. Diese sind ausschließlich durch Nachdenken und zufällige Beobachtung entstanden, entbehren jeglicher wissenschaftlichen Untersuchung oder Nachprüfung und können dementsprechend auch völliger Unsinn sein, müssen es aber nicht.


Inhalt:

Über den Kategorienfehler „Ziel und Mittel“ in der Politik
Über die Partei der Minderbemittelten und Benachteiligten
Über das Ornament
Warum noch Kunst (Fragmente)
Über die Zulässigkeit des Verfluchens
Über den freien Willen
Politisches Handeln unter der Bedingung des Determinismus
Über den Sinn von Armchair Philosophy
Über die philosophische Glosse




Über den Kategorienfehler „Ziel und Mittel“ in der Politik

Seit vielen Jahren beobachte ich, wie sich Politiker auf allen Ebenen über Projekte einigen bzw. nicht einigen. Am augenfälligsten und gefährlichsten wird der dabei ständig gemachte Kategorienfehler im Umgang mit Fremden/Ausländern/Migranten/Flüchtlingen.

Was ist ein Kategorienfehler? Beispiel: „Ich esse immer viele Vitamine, unverarbeitete Nahrungsmittel und Obst.“ Vitamine sind den beiden anderen Elementen enthalten – oder nicht -, auch Obst kann, muss aber nicht ein unverarbeitetes Nahrungsmittel sein.

Politische Vertreter des Volkes sollen den Zustand des Gemeinwesens in einem guten Zustand erhalten oder ihn verbessern. Dazu muss analysiert werden, wie der gute Zustand aussieht oder aussehen soll, also es muss ein Wille formuliert werden: diese Eigenschaften soll es haben, diese Wünsche sollen erfüllt werden.

So kann man sich sinnvollerweise wünschen, dass alle Einwohner eines Staates auskömmlich leben können, Arbeit haben und die gleiche Chance auf Gesundheit, unabhängig von Einkommen. Bereits dieser allgemeine Wunsch KANN einen Kategorienfehler enthalten, wenn nämlich Arbeit nur als Mittel angesehen wird, um auskömmlich zu leben. Kein Kategorienfehler würde vorliegen, wenn die Arbeit ein Wert, eine Befriedigung an sich ist, der als Rahmenbedingung des Einzelnen zum Wohlfühlen notwendig ist. Dieser letzte Satz zeigt wiederum, welcher Art der fatale Haupt-Kategorienfehler in der Politik ist: ständig und auf allen Ebenen die Ziele der jeweiligen Ebene mit den dazu verfügbaren Mitteln zur Umsetzung in einen Topf werfen zu wollen.

Das Hauptziel auf dieser Ebene stellt sich als „Wohlfühlen“ heraus: Wenn man das genauer beschreibt – als, kurz gesagt, artgerechte Haltung – dann gehört zum Wohlfühlen Gesundheit, ausreichende Befriedigung der elementaren körperlichen Bedürfnisse, soziale Kontakte und Sex, Kinder, sofern diese ein Glück an sich bedeuten (nicht aber, um die Rente zu sichern, denn dann sind sie wieder nur Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse), ausreichende Reize und Abwechslung im geistigen und körperlichen Bereich, Selbstwertgefühl und Sinn-Empfinden. Der letzte Punkt wird in unserer Gesellschaft seit langem über die Arbeit definiert, was noch früher ganz anders war. Mit zunehmender Industrialisierung und Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen bei gleichzeitigem Mangel an gesellschaftlichem Engagement kann diese Sinnstiftung aber inzwischen auch wieder durch Ehrenamt oder andere Tätigkeiten geschehen. Man sieht also, dass man sehr viel Klarheit gewinnt, wenn man im Zielfindungsprozess alle Begriffe und die damit beschriebenen Dinge daraufhin überprüft, ob sie Ziel, Mittel zum Zweck oder in Komponenten zerlegbar sind, die eindeutig das eine oder andere sind.

Auf jeder Entscheidungsebene kann man also versuchen, die möglichen ZIELE klar zu beschreiben. Dies ist im Grunde die Aufgabe von allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen, auch Parteien. Die Entscheidung, welche Ziele verfolgt werden sollen, muss der Bürger durch Wahl, Volksentscheid, Petition etc. treffen. Für diesen Prozess sind die Wähler und die Volksvertreter ausreichend qualifiziert. Danach müssen die Volksvertreter auswählen, mit welchen Mitteln die Ziele erreicht werden sollen. Hierfür sind sie meistens nicht qualifiziert, das sollte dann Aufgabe von Staatssekretären, Gremien, Referenten, Ausschüssen und vor allem politikfernen Fachleuten sein.

Die so ausgewählten Mittel sind im Allgemeinen für die nächst niedrigere Ebene wieder Ziele, die verwirklicht werden sollen oder Randbedingungen, unter denen Unterziele festgelegt werden, usw.

Da es manchmal vorkommen kann, dass in der Kaskade bestimmte Ziele nur unter Anwendung von Mitteln erreicht werden können, die für irgendeine Gruppe unzumutbare Folgen hat, lohnt es sich, die Konsequenz von Entscheidungen einmal bis in niedrige Ebenen wie den Ortsvorsteher zu durchdenken, unter Einbeziehung aller Expertenunterstützung. Gelegentlich sieht man dann, dass sich ein Ziel einer oberen Ebene nicht aufrecht erhalten lässt, weil die Umsetzung in unterster Ebene nicht zumutbar ist.

Im allgemeinen hilft aber diese saubere Kategorientrennung bei der Entwicklung einer sauberen und belegbaren Argumentation.

Typische Beispiel sind: „Wir wollen keine Sozialhilfekürzung, Sicherheit auf den Straßen, sichere Arbeitsplätze und die Abschiebung aller Ausländer.“ Genauer befragt wünschen sich Menschen, die dies äußern, eigentlich eine längerfristig verlässliche finanzielle Sicherheit, eine sinnvolle Aufgabe, und Sicherheit auf den Straßen und im allgemeinen Umgang miteinander. Die Forderung „Ausländer raus“ ist ein Kategorienfehler, weil die Ausländer eigentlich nur als Störer oder Verhinderer der o.g. Ziele wahrgenommen werden. Gehen Politiker auf diese Art der Darstellung ein, begehen sie den gleichen Kategorienfehler und können gegen den Rassismus kaum argumentieren. Erst mit der Frage, ob „die Ausländer“ wirklich an der Verfehlung der Ziele Schuld sind, wird man sehen, dass die Maßnahmen für die Ziele ganz andere sein müssen, dass „die Ausländer“ evtl. sogar Teil der Lösung, d.h. der Mittel, sind, die eingesetzt werden können.

„Wir wollen weniger Verkehr in der Stadt, eine bessere Lebensqualität und ein Einkaufszentrum am Stadtrand“ Die LeserIn wird bereits die Kategorienfehler erkennen: die Begriffe bezeichnen drei verschiedene Ebenen der Zielfindung, bzw. Mittelfindung. Durch die klare Trennung kann man auf den Gedanken kommen, dass evtl. eine zusätzliche Buslinie mit Gepäckaufbewahrung die Lebensqualität in der Stadt mehr erhöht, gleichzeitig den Verkehr reduziert, die Innenstadtläden nutzt und unterstützt, die Lebensqualität im Stadtgroßraum sogar erhöht, weil die Fläche für das Einkaufszentrum für anderes nutzbar ist und der Verkehr dorthin auch nicht entsteht. Für die bessere Lebensqualität kann aber auch eine Stadtautobahn, ein Tunnel etc. nützlich sein, der vielleicht MEHR Verkehr erzeugt, aber an nicht störender Stelle, vielleicht ebenfalls die Läden in der Stadt zu aktivieren, am Stadtrand einen Freizeitpark oder ein Gewerbegebiet zu errichten. Das hängt von den Örtlichkeiten ab und von dem, was sich das Wahlvolk als „bessere Lebensqualität“ vorstellt.

In diesem Sinne lohnt es sich, jede politische Äußerung auf ihre korrekte Kategorienanwendung hin zu überprüfen und diese ggf. einzufordern.


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Über die Partei der Minderbemittelten und Benachteiligten

Wer ist mit Minderbemittelten gemeint? Menschen, die keinen Erfolg in der Schule haben, die mangels Geistesgaben, sei es aus genetischen Gründen oder mangelnder Bildung, kindlicher Mangelernährung usw. wegen sozialer Herkunft oder wegen anderer Gründe, nicht konkurrenzfähig genug sind, um sich selbst einen angemessenen Mindeststandard an Lebensstil zu erarbeiten, den sie bei ihren Mitmenschen sehen.

Eine Partei der Minderbemittelten und Benachteiligten würde z.B. für ein gleiches Recht auf Glück, Selbstverwirklichung und regelmäßigen Urlaub der Minderbemittelten und Benachteiligten eintreten. Wer wird sich in einer solchen Partei engagieren? Es müssen Leute sein, die durch Erfahrung oder durch Nachdenken die Erkenntnis gewonnen haben, dass zumindest ein großer Teil der Benachteiligung ohne Schuld der Betroffenen entstanden ist und also die Gesellschaft aus Gerechtigkeitssinn einen Ausgleich schaffen muss. (Der Begriff „Schuld“ soll hier nicht weiter kommentiert werden, er ist ein hochbrisanter und fragwürdiger Begriff.)

In einem politischen System, das keine weiteren unverhandelbaren Grundsätze, Wertvorstellungen hat, die über dem Mehrheitswillen stehen, wird es keine Personengruppe geben, die sich aus Gerechtigkeitsgefühl für die Sache anderer einsetzt, weil eben durch den Mangel dieser Grundsätze das Nachdenken nicht zu diesem o.g. Ergebnis des gerechten Ausgleichs führt.

Folglich werden die engagierten Personen i.a. nicht die reichen, glücklichen, intelligenten Menschen sein, die durch ihren Erfolg die reale Erfahrung gemacht haben, dass Erfolg Erfolg produziert und dass Leben im Glück und Erfolg im Verfolgen des eigenen materiellen und Status-bezogenen Vorteils angenehmer ist als soziale Ausgleichsmaßnahmen. Diese glücklichen Menschen haben auch die (scheinbare) Erfahrung gemacht, dass sich Leistung lohnt, d.h. dass sie ihren Erfolg „aus eigener Kraft“ erarbeitet haben. Diese intelligenten, sprachgewandten, gesellschaftserfahrenen Leute können die Leiden der Minderbemittelten weder verstehen noch ernst nehmen und würden sich nicht in einer solchen Partei engagieren. Es bleiben also nur die Minderbemittelten selbst als Parteimitglieder, aktive Politiker und Wähler übrig. Das ist das Tragische an dieser Partei: Genau der Grund, der zur Parteigründung und Parteiarbeit geführt hat, verhindert systemimmanent einen Erfolg der politischen Arbeit: die Minderbemitteltheit der Akteure und ihre relative Unfähigkeit, komplexe Themen zu bearbeiten. Dies ist nicht zynisch oder satirisch gemeint, sondern die nackte logische Schlussfolgerung.

Ein gleiches Phänomen ist analog die Partei der Armen und Hungernden, in einem Land, in dem Parteien auf Spenden angewiesen sind: Kein Reicher wird einer Partei spenden, die dafür sorgen möchte, dass die Reichen Geld abgeben und die Armen etwas erhalten. Deshalb wird eine solche Partei systemimmanent niemals (finanziellen) Erfolg und damit Wahlkampferfolge haben.

Ebenso die Partei der Umweltschützer, die auf Macht und Besitz zugunsten der nichtmenschlichen Umwelt verzichten: Eben durch diesen Machtverzicht hat auch ihre Partei keine Macht der Einflussnahme. Usw.


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Über das Ornament

Das Ornamentieren ist vermutlich ein angeborenes Bedürfnis des Menschen, denn es bedeutet die Zähmung der Natur, insbesondere der Wildnis, die sich in statistisch verteilten oder durch unbekannte und oft nicht beeinflussbare Ursachen bedingten Ereignissen äußert. Wenn die Natur (florale Elemente, Lebewesen, geometrische Formen) in eine durch klar erkennbare und vor allem vom Menschen aufgestellte Regeln geordnete Reihe, besonders in Wiederholungen, hineingezwungen werden kann, bedeutet das ihre Beherrschung (zumindest in der Wunschvorstellung).

Das Ornament bedeutet den Wunsch nach Beherrschung der Natur. Der unornamentierte Quader bedeutet hingegen die Auslöschung oder Verdrängung der Natur. Das biologische Bedürfnis des Menschen (wie aller Lebewesen) ist aber nicht Auslöschung der Natur, sondern ihre Beherrschung (da sie ja ursprünglich alleinige Lebensgrundlage war), deshalb wird das Ornament immer seinen berechtigten Platz in der Kunst und in der Volkskunst finden.

Mit zunehmender Mechanisierung der Umgebung des Menschen und mit Zunahme der unbekannten Maschinen um ihn herum und dem gleichzeitigen Verschwinden der Natur wird allerdings der maschinelle, rücksichtslose Ablauf in der Menschenwelt, also die starre Regel ohne Ausnahme, zur noch größeren Bedrohung. Dem entspricht ein Bedürfnis nach Naturdarstellung und vor allem neuerlich nach dem Ornament, nun aber mit dem Aufbrechen der starren Regeln und der Anmut und "Natürlichkeit" der unregelmäßigen Handarbeit. Während früher das Ornament um so schöner war, je perfekter es war, ist es nun um so schöner, je unregelmäßiger und unikathaltiger es ist. Erste Anfänge zeigen sich bereits im Rokoko, in dem bereits Mechanisierung in der Alltagswelt aber auch die Abgusstechniken und die Billig- und Täuschbauweise des Barock zur Geschichte gehören.

Auch als Fitnessindikator und als Fertigkeit im Konkurrenzkampf auf sozialer und materieller Ebene ist das Anfertigen von Ornamenten auf diese Weise verständlich. Während es in den Anfängen der Menschheit mit primitiven Werkzeugen eine große Kunst war, möglichst gleichmäßig zu arbeiten, ist es nun mit den zahlreichen billig verfügbaren maschinellen Reproduktionsmethoden die wesentlich aufwändigere Kunst, unregelmäßige Ornamente in Handarbeit herzustellen.

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Warum noch Kunst? (Fragmente)


Unvollständige Sammlung und Zusammenfassung von nötigen Gedankenbausteinen

1. was ist Kunst [Gombrich], [Bell], ontologischer Status

2. Merkmale: Schönheit, Seltenheit, Kunstfertigkeit, Definitionsmöglichkeiten, Kategoriezuordnung [Darwin, Dawkins usw.]

3. Kategorie: Eigenschaft von Dingen, Relation von Dingen, Kommunikationsweise, Verhaltensweise

4. Wer braucht Kunst, warum, wer nicht, warum nicht, was bewirkt sie, ethischer Status, Zweck: keiner, Politik, Transzendenzerzeugung, Informationsversuch, Verhaltensaufforderung, Qualiaausfluss

5. Die Übernahme der Führungsrolle durch die Kunst: praktische Maßnahmen



1. was ist Kunst [Gombrich], [Bell], ontologischer Status Unabhängig davon, ob die Gegenstände oder die Aktion der Anfertigung gemeint sind, wird der Begriff wie andere abstrakte Begriffe (Liebe, Ehre, usw.) so gebraucht, als ob er zumindest eine Komponente enthielte, die über die rein materialistische/physikalistische hinausgeht. Anders als die o.g. Begriffe existiert aber eine deutliche Beziehung zum physikalischen Gegenstand, zur beobachtbaren Bewegung (Tanz), akustisch messbaren Wellen usw. Während Liebe usw. immun gegen ihre Auflösung aus dieser Komponente heraus sind, ist Kunst von daher analysierbar.

Mehrere Möglichkeiten eines ontologischen Status:

Platonistisch (wenngleich er gegen Kunst war) plotinistisch würde man vielleicht sagen: es gibt etwas, an das sich die Kunst annähern will, dessen Manifestation sie ist. Je näher sie diesem Ideal kommt, desto besser ist sie. Die Eigenschaften diese Ideals müssen beschrieben werden (Schönheit? Güte? etc).

Allgemein dualistisch würde man sagen: Kunst ist eine Grundeigenschaft des Menschen, er hebt ihn über das Tier (Steiner etc.), es ist immer mehr als nur die Handlung oder das Kunstwerk im materiellen Sinne. Andernfalls wäre es Handwerk oder Nahrungsbeschaffung oder sonst irgend eine der menschlichen materiellen Handlungskategorien. Seit Anbeginn machen die Menschen Kunst, deshalb muss etwas dran sein.

Funktionalistisch würde man sagen: Kunst hat Aufgaben: Transport von Kult-Informationen, Abbildung zu Erinnerungs- oder Informationszwecken, Machtausübung, Protest usw. (Gombrich).Vom Handwerk, dem Schreibbüro, der technischen Zeichnung, dem öffentlichen Ausrufer unterscheidet sie sich dadurch, dass sie neue Wirklichkeiten erschafft. Vom Terror unterscheidet sie sich dadurch, dass sie bestimmte positiv wahrgenommene Eigenschaften besitzt (Schönheit etc.).

Biologistisch würde man sagen: Kunst ist ein Verhalten, das bezüglich seiner unmittelbaren Nutzlosigkeitskomponente ein Fitnessindikator ist, bezüglich seiner Wahrnehmungskomponente eine Jagd- und Sammelübung, bezüglich seiner Seltenheit ein gesellschaftliches und paarungsbezogenes Konkurrenzmerkmal. Sie dient zeitweilig noch anderen Funktionen, wie dem Informationstransport, kultisch oder profan, Machtausübung durch die dargestellten Dinge, fähig zum Lügen, zur Illusion, zur Steuerung.

2. Merkmale: Schönheit, Seltenheit, Kunstfertigkeit, Definitionsmöglichkeiten, Kategoriezuordnung [Darwin, Dawkins usw.], Merkmale anhand von beobachteter Kunstzuordnung

Warum muss Kunst immer wieder neu sein? So ist sie hier definiert: die Schaffung einer neuen Wirklichkeit. Ausgangsbasis ist die jeweilige alte Wirklichkeit (Ontologie, Wissenschaftsstand, Wahrnehmung, Wahrnehmungstheorien, Widerständigkeit der Umwelt). Warum heißt es oft: "so ein bloßes Geschmiere", das soll Kunst sein? Wichtig für die Beurteilung von Kunst ist, den Unterschied zwischen "vorhandener" und neuer Wirklichkeit sehen können: beide dürfen in ihrer Zeit nicht zu weit entfernt sein, sonst benötigt der Betrachter zu viel Schulung. Lage zwischen Langeweile und Terror. Die neue und alte W. dürfen nicht in verschiedenen Kategorien liegen, die Regelbrüche nicht so stark, dass die gebrochene Regel nicht mehr erkennbar ist, usw. Deshalb kann sich der öff. Geschmack wandeln, weil sich die vorhandene W. solange ändert, bis das selbe Kunstwerk wieder Anknüpfungspunkte hat.



Warum ist der neue Fußboden eines Fliesenlegers keine Kunst?

Es gibt zu viele, die es genauso können, im Vergleich mit der Umgebung innerhalb der vorhandenen Wirklichkeit gibt es fast das selbe doch noch mehrmals. Die Grenzen sind hier fließend: Kunst, Kunstfertigkeit, ein Künstler von Chirurg, von Fliesenleger. Dieses Unikatsmerkmal ist aber möglicherweise nur ein zeitgenössisches Unterscheidungsmerkmal, weil wir jetzt eine Massenreproduktionswirklichkeit vorfinden

Warum ist ein wunderbares Plakat, handgemalt mit allen formalen Merkmalen versehen, "Marlboro usw" keine Kunst?

Werbeplakat sind wie Fliesen nützlich, Kunst nicht, materiell gesehen (außer für die Spekulanten), sie dient nicht unmittelbar dem körperlichen Wohlbefinden und der Existenzsicherung. Auch dies möglicherweise ein zeitbedingtes Merkmal, denn im MA z.B. war die Kommunikation über die Zuwendung Gottes eine ganz dringend zur Existenzsicherung benötigte Funktion.

Wodurch unterscheidet sich ein Steuerbescheid trotz unbestritten neu geschaffener Wirklichkeit von der der Kunst?

1. Ästhetik: Schönheit, - oder wenn die vorhandene Wirklichkeit eben durch übermäßige Schönheit ausgezeichnet ist, durch die Ästhetik der Hässlichkeit, des Schreckens. Wenn die vorhandene Wirklichkeit eine Übermaß an Schrecken enthält: keinen Schrecken mehr schaffen, Informationsgesellschaft sucht Geheimnis, Zweideutigkeit, Massengesellschaft sucht Individualität.

2. Sie darf nicht Schaden/Leiden zufügen, deshalb wird z.B. ein an die Fensterscheibe geschmissener Scheißehaufen oder ein Happening, bei dem den Betrachtern die Köpfe eingeschlagen werden, von den Rezipienten i.a. nicht als Kunst empfunden, desgl. ekelerregende Veranstaltungen, sie sind deshalb nicht attraktiv, laden nicht zur Beschäftigung damit ein.

3. Der Steuerbescheid hat in der Zwangsläufigkeit seiner Schaffung, seines geringen Variationsspiels Merkmale der Banalität. Banalität bedeutet eine Unterforderung der elementaren Wahrnehmungsapparate (passend für die Paarung, die Jagd, Sammeln, sich schützen, ernähren usw.) Dasselbe gilt für Redundanz.

Wodurch unterschiedet sie sich von der handgemalten Blindenmissionswerbekarte im Briefkasten, die ich unwillig weglege? Kunst ist Kommunikation über die neue Wirklichkeit, die von Schöpfer und Rezipient gleichermaßen gewollt wird.

Warum empfindet man 4000 Jahre alte Kritzeleien als Kunst?

1.Es gibt vermutlich Kriterien, die nicht an die Sozioumgebung gebunden sind, sondern in der Biologie verankert sind: Regeln: Interessant als Jagdmuster, als Erholungsmuster, als Gesundheitsmuster (Regelmäßigkeit, Symmetrie), als Partnerwerbungsmuster (größer schneller stärker usw.).

2. Der Heilige Georg, der den Drachen tötet, während sich sein Gewand schlagrahmartig um sein Pferd windet, ist auch jetzt noch eine andere Wirklichkeit als unsere momentan vorhandene, ebenso die Venus von Willendorf.

Warum passiert nichts Neues in der Kunst, wenn sie doch die Schöpfung neuer Wirklichkeit ist?

1. Jedes einzelne Kunstwerk ist trotzdem wieder neu, auch wenn es ähnliche gleichzeitig oder früher schon gegeben hat. Wie neu es empfunden wird, hängt vom Betrachter ab.

2. Die Strömungen sind nicht wirklich gleich, sondern unterscheiden sich in Nuancen.

3. Möglicherweise ist die Vertiefung in Nuancen ein Merkmal dafür, das sich seit ca. 8000 Jahren die Menschheit als neue Art etabliert, es gibt Entwicklungsphasen und Überdauerphasen in der Artenentwicklung. Wahrscheinlich ist die Entwicklung der Menschheit als Spezies in Reaktion auf bestimmte Evolutionszwänge vor 500 000 Jahren in Kürze abgeschlossen.

Warum ist der Satz "Ich habe ein neue Wirklichkeit im Kopf, die allen Ansprüchen genügt" keine Kunst? Weil die körperlich sinnliche Schöpfung derselben fehlt, die Materialisierung (Eine Theateraufführung, ein Bild, ein Spruchband).

3. Kategorie: Eigenschaft von Dingen, Relation von Dingen, Kommunikationsweise, Verhaltensweise. Kunst ist wahrscheinlich als Relation zwischen Menschen, als Kommunikation mit zweckfreier Komponente zu sehen, eine Verhaltensweise, die in jeder Hinsicht erklärbar, begreifbar und trotzdem genießbar ist, auch wenn sie vollständig naturalisiert und jeglicher Metaphysik entkleidet ist. Insofern ist sie immer von Schöpfer und Rezipient gleichermaßen abhängig.

4. Wer braucht Kunst, warum, wer nicht, warum nicht, was bewirkt sie, ethischer Status, Zweck: keiner, Politik, Transzendenzerzeugung, Informationsversuch, Verhaltensaufforderung, Qualiaausfluss. Ethischer Status: neben allen Merkmalen ist Kunst immer auch genutzt worden, gerade wegen ihrer Schaffung neuer Wirklichkeiten als Protest, Denunziation, Bloßlegung usw. Die neue Wirklichkeit kann hinter der alten stehen (Idealistische und idealisierende Darstellungen, Prototypen, reduzierte Grundmuster), über ihr (Gott, Metaphysik), neben ihr (Details, die sonst nicht auftauchen, andere Erdteile, andere Soziale Schichten), unter ihr (Eruptive, emotionale, angeborene Ausbrüche, Traumwelten, Orgien), vor ihr (Wahrnehmungsänderung, Darstellungsänderung)

Dementsprechend ist sie wie jede Kommunikation Handlungsaufforderung (zum Revolution machen, zur stillen Kontemplation, zum Mitfühlen usw.). Sie ist deutlich nicht ausschließlich informativ (bez. der Eigenschaften der neuen Wirklichkeit), sondern immer emotional, wertend.

Gesellschaftlich kann sie zur Zivilisierung dienen, als sie nicht nur unmittelbaren körperlichen Konkurrenzkampf in die Demonstration dieses Fitnessindikators sublimiert, sondern auch eine subtile Kombination aus Information (Falsch- oder Richtig-), Emotion, Qualiaerzeugung (falls es so was gibt), Handlungsaufforderung bildet, die idealerweise in keinem der Bereiche wegen Plattheit frühzeitig durchschaubar ist.

Im wesentlichen kann sie die Wahrnehmung schärfen oder den Blick trüben oder ablenken, im guten wie im bösen. Es gibt immer bequeme Kunst (die angenehm berührten Rezipienten stammen aus der herrschenden Klasse) oder unbequeme Kunst (die befürwortenden Rezipienten würden aus der ausgebeuteten Klasse stammen, wenn sie denn Zeit und Zugang und Vorbildung hätten, die herrschende Klasse nimmt diese entweder nicht als Kunst oder ungern oder mit angenehmem Masochismusschaudern war, je nach Güte und Extremheit).

Zur Zeit ist die meiste Kunst ziemlich bequem. Es fing unbequem an - Ausbrüche und Publikumsbeschimpfungen, Antikunstfertigkeit gegen die Massenherstellung von geschniegelt gleichen, perfekten Waren (gegen die aus meiner Sicht im übrigen nichts einzuwenden ist). Inzwischen ist aber der persönliche individuelle Ausdruck zu einem Merkmal der Kunst geworden, der sich sicher u.a. aus postmoderner Verantwortungslosigkeit und fehlender Solidarität ableitet. Individueller Ausdruck war zeitweise als einziges gültiges Merkmal überhaupt zugelassen. Ändert sich momentan gerade wieder.

Es ist zu fragen, ob Kunst eine gesellschaftlich notwendige Funktion ist, die die Triebhaftigkeit/Biologie überwinden kann, oder ob das ebenso wenig möglich ist wie auf anderen Gebieten. Soll die Gesellschaft Geld an Leute zahlen, die malen, weil sie einfach sich äußern müssen (häufig von Malern angeführter Grund zum Kunstschaffen), ergibt sich daraus bereits automatisch eine Nützlichkeit?

Ist eine Nützlichkeit erwünscht, oder ist es vielmehr so, dass jede Energie, die in Kunst gesteckt wird, glücklicherweise woanders verloren ist?

Darf Kunst gefallen? Darf man Menschen mit Kunst befriedigen? Soll dafür die Allgemeinheit zahlen, oder die Individuen?

Eine Möglichkeit, der Kunst eine Funktion zuzuweisen ist: Führung durch Nicht-Führung. Kunst soll und kann das Vakuum der glücklicherweise weitgehend weggefallenen normativen Kraft der Religion füllen. Drei Stufen sind bei Kunst und Unkunst auszumachen:

Kunst: A1 entautomatisieren, stören, A2 hinweisen auf verborgenes, A3 Neues, Utopien erschaffen, Unkunst: B1: bestätigen, Strukturen festigen, B2: verbergen, beschönigen, B3: Lügen, neue Welten (ggf. als wirklich) vorspiegeln

Über B3 und A3 treffen sich die beiden Gegenspieler überraschend. Über diesen Weg kann Kunst in der Gesellschaft die Aufmerksamkeit von B1 zu A1 und A2 hin lenken. Insofern ist jede Kunst politisch.

Jeder Künstler muss derartige Entmythologisierung/Naturalisierung/Dekonstruktion aushalten und zuende denken

5. Die Übernahme der Führungsrolle durch die Kunst: praktische Maßnahmen:

Gründung einer Kunstpartei: ein Prozentsatz der privaten Einkommen muss für Kunst (nicht Unkunst) ausgegeben werden.

Mehr Kunst -als solche kenntlich gemacht - (nicht Unkunst) in wissenschaftliche Veröffentlichungen, amtliche Bekanntmachungen, öffentliche Medien einbringen, als Gegenpol zur - unkenntlichen, sublimen - Unkunst in Wirtschaft und Politik.






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Über die Zulässigkeit des Verfluchens

Gesetzt, ein Politiker macht Sachen (ordnet sie an), die von anderen Menschen nicht gut geheißen werden. Kann man so jemanden öffentlich verfluchen? Z.B. "Gott sende Dir die Pest ans Bein, dass Du nur noch blind und tatenlos in einem kommunalen Krankenhaus liegen kannst bis an Dein Lebensende und Hausfrauensender hören musst!".

Erste Frage: kann man das, d.h. hat es Wirkung? Es gibt Leute, die glauben, es kann in jedem Fall wirken, egal ob der Adressat davon erfährt oder nicht (an eine höhere Macht Glaubende). Es gibt andrerseits sicher sehr viele, die glauben, es wirkt, sobald der Adressat davon erfährt (an die Psychologie des Menschen Glaubende und gleichzeitig damit Rechnende, dass der Adressat seinerseits an höhere Mächte oder zumindest an geistige Kräfte glaubt. Die Chancen, dass es wirkt, sind im zweiten Fall wahrscheinlich relativ groß).

Zweite Frage: darf man es? Solange niemand etwas davon erfährt, ganz sicher, allein schon wegen der nicht möglichen Kontrolle. Aber sobald dies der Betroffene mit oder ohne Öffentlichkeit erfährt? In einer Gesellschaft, in der der Glaube an den eigenen Freien Willen vorherrscht, dürfte es nicht strafbar sein, da der Betroffene sich durch reine Willenskraft der Wirksamkeit widersetzen kann. Sollte in der Gesellschaft neben dem Glauben an den freien Willen auch noch der Glaube an die Wirksamkeit geistiger Kräfte anerkannt sein, könnte ein solcher Fluch jedoch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Allerdings müssten wegen der Parität auch im umgekehrte Fälle bewertet werden: so könnten viele gute Wünsche als Zuwendung gewertet werden, die ggf. sogar steuerrechtliche Konsequenzen nach sich zieht (z.B. Schenkungssteuer bei sehr großem wirtschaftlichem Erfolg aufgrund von guten Wünschen?).

Der Glaube an geistige Kräfte im Rechtsystem dürfte aber von Juristen nicht gern gesehen werden. Das Problem von der Wirkung geistiger Kräfte auf Materie ist ja bereits im Descartes'schen Dualismus das große unlösbare Handicap. Nicht nur philosophisch , auch juristisch wird es schwierig sein, geistige Kräfte in Geldstrafen oder Gefängnisstrafen umzurechnen.

Pragmatisch gesehen ist das Verfluchen unter der Annahme eines existierenden Gottes im einfachsten Fall die Anstiftung eines Dritten zu einer Straftat. Dies würde jedoch bedeuten, dass Gott der örtlichen Rechtsprechung unterliegt, weil anderenfalls das Beschädigen eines Menschen sonst nicht eine Straftat sein könnte, da dies ja ohne Aufforderung durch Verfluchen gewohnheitsmäßig eine normale und persönlichkeitstypische Handlung von Gott ist. Soll einem Verfluchenden somit strafrechtliche Konsequenz drohen, muss die Gerichtsbarkeit oder die Legislative auch für die Behandlung von Gott als einem Nicht-Staatsbürger mit zeitweiligem oder dauerhaftem Aufenthalt im Staatsgebiet die nötigen Regelungen vorsehen. Dies ist unabdingbar, da z.B. die Anordnung an Soldaten von Tötung im Kriegsfall durch den Staat ebenfalls keine Anstiftung zu einer Straftat darstellt, da die Situation eine andere als im normalen Zivil- oder Strafrecht ist und sich der Glaubende und Verfluchende ebenfalls darauf berufen könnte, in einer anderen, dem weltlichen Leben übergeordneten Situation, zu handeln.

Die Unterstellung von Gott unter die zivile Gerichtsbarkeit kann jedoch zu Konflikten mit den Kirchen bzw. Gläubigen führen, da die öffentliche Einstufung von Gott in ein dem Staat untergeordnetes Wesen eine Gotteslästerung oder Verunglimpfung des Glaubens darstellen kann, da damit ja die Allmacht Gottes (u.a. auch die Macht, Gesetze aufzuheben) in Abrede gestellt wird. Außerdem wird sich die Einstufung der Kirchen als kriminelle Vereinigung schwer durchsetzen lassen.

Ein Ausweg bietet die Möglichkeit, ein Strafmaß nach dem angerichteten Schaden zu bemessen. Kann sich allerdings der Verfluchende darauf berufen, dass er nur Werkzeug Gottes ist, kann er maximal wegen Beihilfe zur Anstiftung belangt werden. Eher wird es jedoch der Fall sein, dass seine Handlung als eine Art Unfall ohne Schuld einzustufen ist, da Gott normalerweise keine juristische Person darstellt, sondern eher als eine Art Naturereignis zu werten ist, die den Glaubenden trifft wie ein Gewitter oder ein Erbeben. in diesem Fall ist er möglicherweise noch nicht einmal haftbar im Sinne eines Verursachers.

Ist allerdings der Verfluchende ungläubig und verflucht allein auf Grund seiner Kenntnis der psychologischen Wirksamkeit, ist seine Handlung einzustufen wie andere Angriffe des Psychoterrors (Stalking, nächtliche Anrufe, Drohbriefe) unter Ausnutzung der Dummheit oder Abhängigkeit der Opfer. Der Beweis, dass der Verfluchende zur Tatzeit ungläubig war, ist jedoch prinzipiell nie zu erbringen, wie auch dahingehende Eide niemals als Meineide nachweisbar. Selbst langjährig bezeugter Unglauben muss nicht bedeuten, dass im Augenblick der Tat nicht ein massiver Anfall vollständigen Glaubens vorlag. Beispiele aus der Geschichte sind allgemein bekannt, besonders die Saulus - Paulus - Wandlung.

Insgesamt ist also davon auszugehen, dass das Verfluchen von anderen Personen, besonders unter zu Hilfenahme von Gott, keine Handlung darstellt, die bestraft werden kann. Man kann es also ohne weiteres z.B. auf amerikanische Ex-Präsidenten anwenden, die ja ebendiesen Gott ebenfalls für sich in Anspruch nehmen.

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Über den freien Willen

Der normale Mensch wächst mit dem zunehmenden Gefühl auf, etwas zu wollen, was er je nach Umgebung und Fähigkeiten auch durchsetzen kann. Er geht spazieren, isst ein Eis, heiratet, bekommt Kinder, weil er es will. Er hat zusätzlich noch das Gefühl. dass er in den meisten Fällen, diesen Willen auch noch frei entwickelt.

Eine kurze logische Sequenz zeigt, wie weit es mit dem freien Willen her ist: Ist es etwas, was außerhalb der Materie existiert (eine Seele oder ein Ich), dann muss erstens geklärt werden, wie diese geistige Instanz ihre Entscheidung zu einer Wirkung entfaltet, da aus der Beobachtung der Materie irgendwelche materiellen Ereignisse auch nur durch materielle Ursachen in Gang gesetzt werden können, auch wenn es z.B. nur so etwas einfaches wie das Heben der Hand ist, was ein ganz und gar körperlicher Vorgang ist.

Die einzige Komponente, die einen materiellen Vorgang lenken könnte, ohne eine Ursache im eigentlichen Sinn zu sein (die zurückverfolgbar ist), ist der Zufall. Der Zufall als Wirkungsursache für meine Entscheidung z.B. wen ich heirate, ist ebenfalls nicht gerade das, was man sich unter einem freien Willen vorstellt. (Ob es Zufall im physikalischen Sinne überhaupt gibt, oder ob er nur ein Wahrnehmungsphänomen wegen mangelnder Beobachtungsfeinheit ist, ist dabei unwesentlich)

Selbst wenn es eine geistige Instanz in "mir" gibt, ist dies kein Nachweis für die Freiheit der Entscheidung durch diese Instanz: irgendwie muss diese Instanz entstanden sein: angeboren: dann waren meine Eltern die Verursacher, durch Gott gegeben: dann hat er diese Instanz in dieser Weise ausgestattet, wie ich sie benutzen kann. Selbst wenn die Freiheit im ursprünglichen Sinn (durch nichts beeinflusst) da wäre, wäre dies sinnlos, da das Wollen ohne jede rationale Hinterfütterung bedeuten würde, eben freier aber "sinnlose" Wille.

Nun sagt der normale Mensch :"Ja, meine Entscheidungen werden selbstverständlich auch von außen beeinflusst: ich kann lange ein Eis kaufen wollen: wenn gerade Winter ist und nirgends eine Eisdiele, ist es sinnlos, sich dafür zu entscheiden. Aber mein Wille, mein Wunsch ist durch nichts beeinflusst, außer durch mich!"

Die mangelnde Erklärungsfähigkeit eines "Ichs" im o.g. Sinne haben wir gesehen, es bleibt noch eine Art aus dem Materiellen "entstandenes" Ich als Vorstellung. Wie kann aber dieses Ich entstanden sein? Es kann nur das Produkt meiner genetischen Anlagen zusammen mit meinen lebenslangen Erfahrungen sein, und diese sind wiederum nicht frei von "mir" gewählt. Sollen meine Erfahrungen und Fähigkeiten vernünftig in die Ausbildung einer (je nach Weltbild gewünschten) funktionsfähigen, glücklichen, zufriedenen oder nützlichen Persönlichkeit eingeflossen sein, müssen sie diese Entwicklung Schritt für Schritt durch "gute Gründe" betrieben haben. Die Anerkennung von guten Gründen ist jedoch ebenfalls wieder keine freie Entscheidung, weil ja dazu der bis dahin bereits vorhandene intellektuelle Apparat und die aktuelle emotionale Lage verwendet werden.

Wie man es dreht und wendet, es bleibt vom freien Willen nichts übrig.

In Extremsituationen ist dies gesellschaftlich auch anerkannt: "Ich hatte plötzlich so Hunger bekommen, dass ich einfach rausgehen musste und mir etwas zu essen holen". "Durch den Schock bei diesem Anblick konnte ich nicht anders als dem Täter über den Kopf zu hauen". Auch bei offensichtlich geistig Behinderten wird akzeptiert, dass sie nicht schuldfähig sind.

Dies ist ein Schlüsselbegriff, der sich aus der o.g. Situation ergibt: Die Voraussetzung des freien Willen ist zwingend nötig, um eine Schuldfähigkeit für eine Handlung zuzuweisen. Dies ist ein Grund dafür, dass die Diskussion um den freien Willen in der Gesellschaft nur ungern gesehen wird. Das Strafrecht müsste nämlich vollständig revidiert werden. Dies wäre prinzipiell kein Problem: ein Mörder müsste nicht bestraft werden, sondern nach besten Kräften daran gehindert werden, dies nicht wieder zu tun. Ein Sexualverbrecher könnte ohne Schuldkonzept nicht durch möglichst unangenehme Haftbedingungen so bestraft werden, dass es sich künftig frei gegen Verbrechen entscheiden kann (was er oft gar nicht leisten kann), dafür wäre es aber kein rechtliches Problem, einen solchen Menschen unter menschenwürdigen Bedingungen lebenslänglich unter Bewachung zu stellen. Ebenso würden dadurch automatisch mehr Energien in die Prävention gelenkt. Auch die Überwachung des Verhaltens durch die Gesellschaft könnte ohne Einbuße in der Lebensqualität etwas verstärkt werden, da bei Fehlverhalten ja nicht mit "Sanktionen" zu rechnen wäre, sondern mit einer wenn auch von außen angeordneten Hilfestellung zu Bewältigung des anstehenden Problems.

Neben diesen juristischen Konsequenzen stellt sich natürlich die Frage, wie ich als Mensch mit dieser Erkenntnis mein Leben bewältigen kann: Wie kann ich denn entscheiden, wenn alles schon vorgegeben ist und somit die Welt eigentlich determiniert? Glücklicherweise haben aber die Menschen (und vermutlich auch alle Tiere je nach Entwicklungsstand mehr oder weniger ausgeprägt) einen "ich"- und "freien Willen"-Generator. Man kann also gar nicht anders, als sich als frei handelndes Wesen empfinden, weil die Wahrnehmung des Handeln von eben demselben Ich bewusst (was immer das sein mag) gemacht wird. Auch die Tatsache, dass die wenn auch determinierte Ausbildung dieses Ichs oder "Selbsts" so komplex ist, dass ich nicht nur die Ereignisse in meiner Umgebung nicht vorhersehen kann, sondern auch meine eigenen Handlungen nur äußerst begrenzt vorhersehen kann, bringt ein Element der Überraschung ins Leben, das zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Originalität, Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit völlig genügt.

Dieser "Selbst"-Generator ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein in der Evolution als tauglich entwickeltes Instrument, mit dem sich die überlebenstüchtigeren Gene schneller gegen den Rest durchsetzen konnten. Er entspricht ja einer Art Blackbox der Handlungsketten, quasi eine Art schnell zu bedienende Benutzeroberfläche eines komplexen Organismus. Die Tatsache, dass wir über diese Dinge nachdenken können, zeigt allein (neben anderen philosophischen Überlegungen), dass wir Menschen aber nicht notwendigerweise alles gut heißen müssen, weil es "natürlich" ist: wenn unsere Entscheidungen nicht frei, sondern eben wenn möglich gut begründet sind, ist eine Loslösung von der "Natur", von neodarwinistischen Tendenzen ebenso "natürlich", zumindest aber sinnvoll, wenn man weitere ethische Überlegungen anstellt (Nicht vom Sein auf das Sollen schließen).

Eben wegen dieses "Selbst"-Generators fühlt man sich auch unglücklich oder betrogen, wenn man die Erfindung des freien Willens enttarnt hat (wie natürlich auch unter einer Strafe, die einen trifft, ohne dass man hätte anders handeln können). Was da aber leidet ist ja genau dasselbe Ich oder "Selbst", das sich die Evolution im Laufe der Entwicklung gebastelt hat. Idealerweise also sollte parallel mit der Erkenntnis des unfreien Willens auch die Erkenntnis des künstlich gebauten Selbst reifen. Das gelingt natürlich nur in den seltensten Fällen, kann man wohl auch ein Ziel des Buddhismus begreifen, nämlich die oben beschriebenen logischen Erkenntnisse mit der emotionalen Einsicht, der "Verkörperung" der Erkenntnis, zusammen zu bringen, dass die Menschen keine "Selbste" sind, sondern - im ganz banalen materiellen Sinn - eins mit der Welt sind.

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Politisches Handeln unter der Bedingung des Determinismus

Wenn - wie in "Über den freien Willen" dargelegt, die Entscheidungen der Menschen mitnichten frei sind, sondern sich demzufolge die Welt in einem deterministischen Ablauf darstellt: Warum sollte ich verantwortlich (gesellschaftlich, politisch usw.) handeln?

Für die Erfüllung meiner Bedürfnisse habe ich einen unmittelbaren Antrieb, denn das Bedürfnis nach Wohlbefinden, Schmerz usw. spüre ich unabhängig davon, ob ich als Maschine so konstruiert bin, oder so "entstanden", oder mit dieser Gabe durch eine "Seele" versehen bin. Warum sollte ich aber für einen guten Zweck, für die Gemeinschaft, die Umwelt oder welchen Zweck auch immer agieren, wenn schon vorher festgelegt ist, ob es zum Erfolg führt oder nicht?

Das Problem ist nur rekursiv zu lösen, ähnlich wie der Beweis göttlicher Gnade im Calvinismus: Dass die Lösung der von mir erkannten Probleme richtig ist, erkenne ich wiederum unabhängig davon, ob ich als Maschine so konstruiert bin, oder so "entstanden", oder mit der Gabe der Geisteskraft durch eine "Seele" odern den "Verstand" versehen bin. Da aber die Zukunft wenn nicht schon allein aus informationstheoretischen Gründen, dann zumindest aufgrund hoher Komplexität nicht vorhersagbar ist, ist es möglich, dass ich zu den Menschen gehöre, deren Handlung tatsächlich eine Verbesserung in die Welt bringt. Nachweisen kann ich es nur, indem ich es ausprobiere, mein bestes versuche!

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Über den Sinn von Armchair Philosophy

Geisteswissenschaften kranken oft daran, dass sie die nötige Verbindung zu empirischen, nachvollziehbaren Erkenntnissen über die Welt (was immer das ist) oft völlig verlieren. D.h. dass geisteswissenschaftliche Erkenntnisse oft durch gewissermaßen Zellzeilung generierte scheinbare Neuheiten bieten, die keine sind oder eher die Erfindung neuer Welten durch Erfindung neuer Begriffe darstellen.

Kann s.g. Armchair Philosophy (Lehnstuhl-Philosophie ohne empirische Stützung der Ergebnisse), die genau dies tut, trotzdem sinnvoll sein?

Der Mensch hat, wie man durch einfache Naturbeobachtung wie auch durch wissenschaftliche Untersuchungen in der Soziologie oder Geschichte feststellen kann, nicht EIN Bild von der Welt, sondern sehr viele Bilder für verschiedene Anwendungszwecke, die durchaus nicht kompatibel sind, sondern eine vielfältige natürliche Mehrfachschizophrenie widerspiegeln (so würde vielleicht ein Mensch einerseits ganz gegen die Diskriminierung von Bayern bei der Einstellung in den Staatsdienst von Hessen protestieren, jedoch niemals seine Mietwohnung an einen Türken vermieten, einerseits gegen die Erwärmung der Erde protestieren und selbst gleichzeitig niemals auf die Aufheizung des heimischen Swimmingpools verzichten, gleichzeitig seinen Freunden über seine Mattigkeit vorklagen, die ihm derzeit nicht erlaubt, dringend nötige Reparaturen oder soziale Kontakte zu bearbeiten, und dennoch gleichzeitig gegen eine Unterstützung von arbeitsscheuen Elementen wettern, die "ihren Hintern nicht vom Sofa hochkriegen" usw.).

Theoretische Überlegungen vom Lehnstuhl aus können aber aufgrund der bereits bekannten Beobachtungen, mit Hilfe von Literaturauswertung, Auswertung von Studien usw. die weitgehende noch nicht geleistete Überführung von Begriffen aus den verschiedenen Weltbildern leisten, Widersprüche aufdecken und Konsistenzen fordern. Dabei muss "gute" Armchair Philosophy weniger neue Begriffe einführen, als vielmehr Augenmerk auf deren Reduzierung und Identifizierung gleicher Sachverhalte in verschiedenen Gewändern betreiben. Damit ist nicht gesagt, dass man jeden noch so komplizierten Sachverhalt auch einfach darstellen kann (ein großer Irrtum, da sich informationstechnisch die Menge der Informationen, die sich z.B. aus der Menge der Rand- und Anfangsbedingungen eines Sachverhaltes ergeben, nicht ohne Informationsverlust zusammenfassen lassen, und außerdem die Entwicklung eines Sachverhaltes aus einem anderen selbst bei scheinbar einfachen Regeln vom menschlichen Gehirn nicht auf mehrere Schritte im voraus im Kopf gedacht werden kann, sobald diese Regeln nichtlinear/rekursiv sind).

Armchair Philosophy ist also - in Maßen angewendet - durchaus nützlich und sinnvoll.

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Über die philosophische Glosse

Lichtenberg ist durch seine Aphorismen berühmt geworden. Jeder erhabene Mensch wird Aphorismen lieben, da sie ihm den Eindruck vermitteln, plötzlich und in einem einzigen Satz die ganze Welt - oder doch einen großen Teil davon - zu verstehen. Ein Aphorismus ist eine wunderbare Sache: eine abgeschlossene Welt, unberührt von allen anderen Welten, geschweige denn von der wirklichen Welt (was immer das sein mag). (Das ist auch ein Aphorismus).

Philosophische Glossen sind dasselbe auf einer etwas weitläufigeren sprachlichen Basis. Je kürzer, desto ähnlicher.